Tobias Meinhart Interview
Tobias Meinhart zählt zu den interessanten Jazzsaxophonisten unserer heutigen Zeit. Ich habe vor zwei Jahren seine LP „live in Studio“ gekauft, auf welcher wir eine dynamische Jazzband hören können. Ich wollte Tobias eigentlich im letzten Jahr endlich mal live hören, doch leider hat es aufgrund von Corona nicht geklappt. Tobias lebt und arbeitet heute in New York.
Umso mehr habe ich mich gefreut, dass ich ihm ein paar Fragen per Mail stellen konnte.
Die Website von Tobias Meinhart könnt ihr hier finden:
https://www.tobiasmeinhart.com/
Jazzreporter: Hallo Tobias, danke für deine Zeit für jazzreporter.com. Wann kamst du zum ersten Mal mit der Musik in Berührung?
Tobias Meinhart: Zum Jazz kam ich über meinen Großvater. Er war klassischer Kontrabassist und kam dann nach dem Zweiten Weltkrieg über die US-Amerikaner zum Jazz. Er hat mich zu vielen Big-Band-Konzerten mitgenommen.
JP: Hat dich die bayerische Volksmusik geprägt?
TB: Das kann man schon sagen. Als kleiner Junge war ich gerne im Bierzelt vor den Kapellen und habe mitdirigiert. Dann habe ich die Volksmusik aus den Augen verloren, beschäftige mich aber seit einiger Zeit wieder damit. Es gibt da viele tolle Sachen zu entdecken, zum Beispiel den Zwiefachen – einen ungeraden, ziemlich komplexen Rhythmus.
JP: Deine Platten klingen teilweise sehr Hard-Bop-mäßig. Haben dich vielleicht die Alben von Blue Note in deiner musikalischen Entwicklung geprägt?
TB: Auf jeden Fall! Vor allem die Blue-Note-Alben aus den 50er und 60er Jahren. Spontan fallen mir John Coltranes „Blue Train“, Art Blakeys „Moanin‘“ , Joe Hendersons „In ‘n out“ und Dexter Gordons „Go“ ein. Diese Ära hat mich sicher beeinflusst, wobei ich von reinem Kopieren nichts halte. In meinen Kompositionen gibt es auch andere Einflüsse, zum Beispiel aus dem Singer-/Songwriter-Bereich, der Klassik und teilweise auch elektronischer Musik. Konkret würde ich meine aktuelle Musik so beschreiben: Sie klingt nach „Coltrane gemischt mit Erykah Badu und einer Spur Michael Jordan“.
JP: Warum hast du dich mit 13 Jahren für Tenor Saxophone entschieden?
TB: Ich habe als Schlagzeuger angefangen, aber bei den vielen Big-Band-Konzerten hat mich als Zuhörer immer die blinkende erste Reihe aus Saxophonen interessiert. Deshalb wollte ich es dann mit 13 Jahren selbst probieren und habe seitdem nicht mehr aufgehört.
JP: Du hast schon im frühen Alter als Roadie für Bob Brookmeyer gearbeitet, hast du da schon einiges über das Musikgeschäft gelernt?
TB: Ganz sicher, das war eine wichtige Erfahrung. So nah mit diesen Ausnahmemusikern zu arbeiten und auf Tour zu sein, hat mich sehr inspiriert. Vor allem wie Bob Brookmeyer, und auch Clark Terry, junge Musiker gefördert haben, war wunderbar.
JP: Einer deiner Lehrer im Studium war Tenorsaxophonist Johannes Enders, was hast du von ihm konkret mitgenommen?
TB: Johannes hat mir sehr viele Tricks gezeigt, um mein Spiel zu verbessern, was im Studium oft unterging. Zum Beispiel, wie man einen Solo-Pick-up gestalten kann, einen Tune gut beendet oder welche Standards am wichtigsten sind. Aber auch über Timing und Phrasing haben wir viel gesprochen, da konnte er mir viele Tipps u.a. von Joe Lovano und Jerry Bergonzi weitergeben.
JP: Wie kam es zu der Gründung deines Quartetts im Jahr 2008?
TB : Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon einige Jahre mit dem Pianisten Lorenz Kellhuber gespielt. Er ist ein Wahnsinns-Pianist, kommt wie ich aus Regensburg und ist ein guter Freund. Wir haben uns mehrmals in der Woche zum Jammen getroffen. Den Bassisten und Drummer kannten wir aus dem Landesjugendjazzorchester Bayern und so ist dann diese Band entstanden.
JP: Du lebst seit 2010 in New York City. Wurde dir um die Zeit deine bayerische Heimat zu klein?
TB: Eigentlich bin ich schon seit 2005 nicht mehr in Bayern. Zuerst habe ich in Basel studiert, dann in Amsterdam und Bern. Über ein Stipendium bin ich dann an die Aaron Copland School in New York gekommen. Seitdem hat mich diese Stadt nicht mehr losgelassen. Die Dichte an unglaublich guten Musikern und sich in dieser Szene zu beweisen machen für mich nach wie vor einen großen Reiz aus.
JP: Was sind die Unterschiede zwischen der amerikanischen Jazz-Szene und der deutschen Jazzszene?
TB: Ich denke nicht, dass es einen gewaltigen Unterschied gibt. Die Dichte an Jazzmusikern ist einfach extrem hoch in New York und Jazz ist mehr in den Alltag integriert. Im Taxi oder Supermarkt ertönt oft Miles Davis oder Sonny Rollins und es ist auch für junge Leute hip, abends in einen Jazzclub zu gehen.
JP: Du hast drei Alben mit Ingrid Jensen aufgenommen. Was gefällt dir besonders am Sound von Ingrid Jensen?
TB: Ingrid hat einen unglaublich warmen, dunklen Sound auf der Trompete. Es klingt fast, als würde sie Flügelhorn spielen. Außerdem haben wir ein wahnsinnig gutes Blending zwischen ihrer Trompete und meinem Saxophon.
JP: Wie gehst du ran, wenn du ein neues Album aufnimmst?
TB: Zunächst stelle ich mir ganz genau vor, für wen ich die neuen Stücke komponiere. Für das neue Album habe ich z.B. zwei Kompositionen explizit für Ingrid Jensens Sound geschrieben. Das gibt mir schon viele Ideen. Idealerweise spiele ich mit der Band auch eine Tour oder zumindest mehrere Konzerte, bevor wir ins Studio gehen.
JP: Mein Lieblingsalbum von dir ist die Vinylplatte „live in Studio“, welche am Ende einer anstrengenden Tour aufgenommen wurde. Wie war für dich die Atmosphäre an diesem Abend?
TB: Ich selber stehe auch sehr auf Live-Alben. Es ist einfach eine andere Atmosphäre, für ein Publikum zu spielen. Die Energie im Raum ist dabei eine andere. Bei diesem speziellen Album waren wir auch schon zwei Wochen auf Tour gewesen, da waren wir auch extrem gut eingespielt.
JP: Dein letztes Album heißt „Berlin People“. Wie kam dieses Projekt zu Stande?
TB: Mittlerweile verbringe ich eigentlich jeden Sommer 1-2 Monate in Berlin, um der Hektik New Yorks zu entfliehen. Dabei hat sich eine Working Band mit Berliner Musikern entwickelt, für die ich auch viel komponiert hatte. Schließlich ist noch Kurt Rosenwinkel zur Band gekommen, das war dann die Initialzündung für das Berlin-People-Projekt.
JP: Im Magazin Jazz Thing schreibst du auch über die Auswirkungen der Corona-Krise auf deinen Beruf. Wie war es damals für dich vor einem Jahr, als die Krise über uns hereinbrach?
TB: Wir hatten mit Berlin People eine fast dreiwöchige Tour durch Europa geplant. Flugtickets, Mietwagen, Hotels usw. war alles gebucht. Eine Woche vor Abflug hat die USA dann die Grenzen dicht gemacht. Damit war klar, dass alles ins Wasser fällt. Neben den ganzen Kosten war das auch eine sehr kalte Dusche für die Motivation. Nach ein paar Wochen hat sich das aber gelegt.
JP: Droht in New York City ein Clubsterben, weil viele Clubs auf privatwirtschaftlicher Basis organisiert sind?
TB: Absolut! Mittlerweile sind auch schon einige Clubs zu. Der Jazz Standard musste aufgeben, Birdland kämpft ums Überleben, ähnlich wie das Village Vanguard oder die 55 Bar, die seit einem Jahr geschlossen ist. Auch in anderen amerikanischen Städten mussten bereits viele Clubs schließen.
JP: Siehst du die Gefahr, dass es sich durch die vielen Live-Stream-Angebote die Besucher zu gemütlich machen und nach der Krise weniger in Konzerte gehen werden?
TB: Nein, ich denke, das Gegenteil ist der Fall. Ich hoffe, es wird einen absoluten Hunger auf Live-Konzerte geben und zu einer Renaissance, ähnlich wie in den 1920er Jahren, kommen.
JP: Wann können wir dich hier mal wieder live sehen?
TB: Gerade wären wir in Deutschland auf Tour, es sollte die Ersatztour vom letzten Jahr werden. Hat leider wieder nicht geklappt. Im Sommer spielen wir aber eine Woche im A-Trane Berlin und im Bird’s Eye Basel. Ich hoffe sehr, dass es stattfinden kann.
JP: Was sind deine nächsten Projekte?
TB: Im Moment konzentriere ich mich auf meine neue US-Band und Berlin People. Mit letzterem Projekt nehmen wir im Sommer ein neues Live-Album auf.
JP: Danke für deine Zeit für jazzreporter.com.
TB: Sehr gerne!
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