Ulla Haesen Interview

Ulla Haesen Interview

Ulla Haesen habe ich über Franco Petrocca kennengelernt und die Deutsch-Finnin mit ihrer Vorliebe zur brasilianischen Musik war schon mal Thema in diesem Forum. Näheres könnt ihr hier lesen:

 

https://www.jazzreporter.com/2018/07/26/cd-reviews-ulla-haesen-trio-elf/.

 

Das Hauptthema ist ihre neue CD Prendila così. Diesmal ist auch ein finnisches Volkslied enthalten und auch italienische Lieder, die auch selbstverständlich zur DNA von Ulla Haesen zählen. Auch auf dieser CD sind die beiden Petrocca-Brüder vertreten, Ivo Guedes Portuguese Guitar, Lula Galvão an der Gitarre, Gabriel Pérez am Saxofon und Flöten, Kiko Freitas und Andrea Marcelli am Schlagzeug und Jürgen Schuld, Kiko Freitas und Andrea Marcelli an den Percussions.

 

Die CD hat einen wunderbar weichen Sound, was auch ein Verdienst ist von dem Produzenten Klaus Genuit. Ulla Haesen singt voller Emotion und Leidenschaft, man merkt, dass sie diese Lieder liebt und auch lebt. Die Musik hat viel Ausdruckskraft und gibt den Musikern viel Platz zur Entfaltung. Mein persönlicher Favorit ist „Napule È“, den Ulla Haesen im originalen neapolitanischen Dialekt singt und bei dem Franco Petrocca ein passendes, sehr schönes Fretless-Bass-Solo spielt. Ein Sound, den man nicht alltäglich hört.

 

Wenn ihr gehaltvolle Musik sucht mit einem intensiven und geschmeidigen Sound, dann solltet ihr die CD hier bestellen:

 

https://ullahaesen.de/diskografie/prendila-cosi

 

Zu den Hintergründen zum neuen Album führte ich mit Ulla Haesen ein Gespräch über Mail. Viel Spaß beim Lesen!

 

Jazzreporter: Wann kamen Sie zum ersten Mal in Berührung mit Jazz?

 

Ulla Haesen: Als Jugendliche auf Reisen mit meiner Gitarre unter anderem nach Italien habe ich viel Musik von Pino Daniele gehört, der sich auch als Jazzgitarrist einen Namen gemacht hat.

 

JP: Warum haben Sie sich entschlossen, Gitarre zu spielen?
UH: Gitarrenunterricht bekam ich schon als Kind, nämlich klassische Gitarre. Danach spielte ich Straßenmusik, Folk und Popsongs, bis ich die brasilianische Musik für mich entdeckte.

 

JP: Wie kam eine Deutsch-Finnin in Berührung mit brasilianischer Musik?

 

UH: In der finnischen Seele gibt es viel Melancholie und Sehnsucht, die musikalisch ihren Ausdruck z.B. im Tango finden.
Die brasilianische Musik transportiert auch Melancholie und Sehnsucht, aber mit sehr viel mehr Leichtigkeit und einer wunderbaren Lebensfreude. Ihr habe ich mich auf Anhieb deshalb sehr verbunden gefühlt.
Die Texte sind Poesie pur und vermögen tief zu berühren, die Rhythmen sind mal treibend, mal dahinfließend und entspannend, dann wieder fulminant und spannend in ihrer oft hohen Auflösung, die für Europäer durchaus eine Herausforderung darstellen kann, sowohl beim Spielen als auch beim Hören.

Die brasilianischen Komponisten, die ich besonders verehre, sind natürlich A.C. Jobim, aber auch Carlos Lyra, Ivan Lins, Roberto Menescal, Marcos Valle, João Donato, Ary Barroso, Johnny Alf, Joyce Moreno, Baden Powell, Milton Nascimento und viele mehr.

 

JP: Wird nicht der Samba heute Ihrer Meinung nach zu kommerzialisiert? Auf Ihrer ersten CD sangen Sie auch einige weltbekannte brasilianische Stücke, die heute als Jazzstandards gelten?

 

UH: Auf meinem ersten Album 'Love Tears & Joy' waren dann tatsächlich schon ein paar brasilianische Titel zu hören, denn in dieser Zeit hatte ich mich unsterblich in den Bossa Nova und Samba verliebt.
Für mich hat weder Samba noch Bossa Nova etwas mit Kommerz zu tun. Es sind wunderschöne geschmackvolle Kompositionen, die zu Recht teilweise sehr bekannt sind, und es gibt noch unendlich viele mehr, die die Menschen lieben würden, falls sie sie hören könnten. Deshalb bin ich in den Jahren, vor denen ich jeweils meine weiteren vier Alben aufgenommen habe, viel auf musikalischen Entdeckungsreisen gewesen. Und natürlich führte mich meine Leidenschaft für die brasilianische Musik nach Brasilien: nach Rio, wo ich Lula Galvão, Kiko Freitas und Nelson Faria getroffen und zu den Aufnahmen für mein 'Rio'-Album in die Hansahaus-Studios/Bonn zu Klaus Genuit eingeladen hatte, der diese und alle anderen wunderbaren Produktionen möglich gemacht hat.
Das Resultat davon besitzen Sie als LP.


JP: Welchen Einfluss hat die italienische Musik auf Ihr Spiel?

 

UH: Es war nur eine Frage der Zeit, wann ich meine Lieblingssongs der Komponisten, die ich während meines fast zehnjährigen Aufenthalts in Italien gehört habe, interpretieren würde und das natürlich in italienischer Sprache, die mich ebenso begeistert wie auch das brasilianische Portugiesisch.

 

JP: Sie spielen seit Jahren mit den Petrocca-Brüdern zusammen. Wie kam diese Zusammenarbeit zu Stande. Was schätzten Sie an Franco und Lorenzo?

 

UH: Lorenzo und Franco Petrocca sind mittlerweile Freunde, sogar wie Brüder für mich geworden. Die Zusammenarbeit begann vor fast zehn Jahren nach meinem Debutalbum, zunächst mit Lorenzo, den ich als musikalischen special guest zu einem meiner Konzerte einlud, dann mit Franco.
An beiden schätze ich die unglaubliche Musikalität, Virtuosität, ihren Humor, ihr großes Herz und ihren exzellenten Geschmack in jeder Hinsicht

 

JP: Was ist das musikalische Konzept Ihrer neuen CD „Prendila Così“?

 

UH: Dieses Album 'Prendila così' (Nimm es, wie es kommt) handelt davon, sich in der Welt, egal wo man sich befindet, zu Hause zu fühlen. Ob es als Kind beim Einschlafen zu einem finnischen Wiegenlied ist (meine Mutter ist Finnin und hat genau dieses Lied für mich gesungen) oder eben in Italien oder Brasilien, am Meer, in der Schönheit der Natur, im bunten Treiben einer Stadt usw. Diese Sprachen und diese Musik sind für mich mittlerweile Heimat.

 

JP: Wie haben Sie die Stücke für diese neue CD ohne Klavier ausgewählt?

 

UH: Die Songauswahl ergab sich wie bei jeder meiner fünf CDs aus meiner Begeisterung für die Komposition; das wichtigste Kriterium dafür, einen Song aufnehmen zu wollen, ist einfach, glücklich zu sein während, man ihn spielt und singt, oder voller Sehnsucht oder Hoffnung, sich wiederzufinden in ihm. Es ist immer jede Menge Lebensfreude dabei und jeder dieser Songs wird dann zum Ausdruck meiner selbst und der vielen wunderbaren Mitmusiker. Es wurde nichts vorab geplant; in den zwei Jahren Produktionszeit reiften die Songs zu dem, was sie jetzt sind. Dass kein Piano drauf zu hören ist, hat sich einfach so ergeben: Die vielen Facetten aller vorhandener Instrumente sind so reich und so ausdrucksstark, dass nichts hinzuzufügen war.

 

JP: Planen Sie, nach der Coronakrise auch nach Stuttgart zu kommen mit Ihrer Band?

 

UH: Ich kann es gar nicht erwarten, wieder zusammenzuspielen (gerne auch in Stuttgart), zu kochen (italienisch natürlich), zu lachen und gemeinsame Pläne zu schmieden.

 

JP: Wird die nächste CD über finnische Lieder sein?

 

UH: Für mein/unser nächstes Album sind bereits zwei Titel bereit: Es sind brasilianische Kompositionen, wieder absolut zauberhafte Songs. Wer weiß, was noch dazukommt: Es wird auch für uns selbst wieder eine Überraschung sein. Die Herausforderung als Künstlerin wird darin liegen, noch viele wunderschöne Songs in der Musikgeschichte zu entdecken und diese sowohl im Studio als auch live zu zelebrieren.

 

JP: Danke für das Interview!

 

UH: Danke für Ihren Blog, es ist sehr wichtig, dass Sie das machen.

 

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