Augustin Lehfuss Interview- Ein Wiener in Berlin
Ich habe schon seit Jahren ein Faible für Wien und habe diese Stadt sehr oft besucht. Bei einem meiner Besuche lernte ich den Wiener Musiker Augustin Lehfuss kennen.
Augustin ist ein vielseitiger Künstler. Er hat über 400 eigene Songs geschrieben und Arrangements für namhafte Künstler wie Patricia Kaas oder Wolfgang Ambros geschrieben. Auf seinem Label Gustfuss Records hat er zahlreiche CDs von diversen Künstlern produziert. Im Jazz-Bereich brachte er zwei CDs des renommierten Boogie-Woogie-Pianisten Hannes Otahal raus.
Seit vielen Jahren lebt und arbeitet Augustin in Berlin. Vor einigen Monaten brachte er die Jazz-CD „Happenstance“ raus:
Die CD hat Swing und groovt und enthält witzige Eigenkompositionen. Sie wurde mit einem Jazztrio aufgenommen. Über seine neue CD und sein bisheriges musikalisches Leben habe ich mich live bei einem guten Tafelspitz im Café Einstein in Berlin unterhalten.
Jazzreporter: Wie kamst du zur Musik?
Augustin Lehfuss:
Das hat damit angefangen, dass meine Eltern einen Bechstein-Flügel für meinen Bruder gekauft haben. Er ist ein entzückender Mensch, aber leider musikalisch nicht begabt. Das, was er in einem halben Jahr geschafft hat, habe ich in zehn Minuten geschafft. Also übernahm ich sehr schnell die Klavierstunden. Ich habe mich ab 5 Jahren mit den Musiktheorien von Bach und Schuhmann beschäftigt und als kleines Kind nimmt man viele Strukturen unbewusst auf. Mit etwa 14 Jahren schrieb ich mein erstes Arrangement. Es hat mich schon immer fasziniert, Musik, die man hört, auf Papier aufzuschreiben.
JP: Du hast viele Jahre Trompete gespielt. Wie kam es dazu?
AL: Daran ist der Louis Armstrong schuld, schon in meiner Kindheit hat er mich begeistert. Er war sicher verantwortlich, dass ich Jazztrompete am Musikkonservatorium der Stadt Wien studiert habe und im Jahre 1990 abgeschlossen habe. Ich habe dann viele Jahre in einer Big Band als Lead-Trompeter gespielt.
Das Highlight war sicher der Auftritt als Vorband von Lionel Hampton aus dem Jahr 1999. Die Musiker von Lionel Hampton haben uns beobachtet und waren beindruckt von unserem Können. Hampton war zu der Zeit leider schon sehr gebrechlich. Aber es hat trotz seines hohen Alters Spaß gemacht, und das ist die Hauptsache.
JP: Wie kamst du zum Jazz?
AL: Das war wie schon oben erwähnt der Louis Armstrong. Er hat mich begeistert mit seinem Song „Muskat Rumble“ und der Groove der frühen Hot-Five-Aufnahmen hat mir gefallen. Es war nicht so ernsthaft wie die klassische Musik und es hat gegroovt. Der Dixieland und New Orleans Jazz bilden ja auch durch ihre Improvisationen die Basis für den heutigen Jazz.
Der zweite Einstieg war der Boogie Woogie, weil ich gelangweilt war von Chopin, Mozart und Beethoven. Ich wollte hämmern und Spaß haben und die Musik sollte schön grooven. Also fing ich an, beim Klavierunterricht Boogie-Woogie zu spielen. Ganz einfache Sachen.
Viele Jahre später brachte ich zwei Boogie-Woogie-CDs von meinem Freund Hannes Otahal raus, die man noch heute auf meinem Label Gustfuss Records erwerben kann.
JP: Hast du früher auch im Wiener Jazzland gespielt?
AL: Das Jazzland ist die Heimstätte des traditionellen Jazz und dort wird nur Mainstream gespielt, was eine kulturpolitische Entscheidung ist. Ich habe dort über die viele Jahre an die 100-mal gespielt.
JP: Wie würdest du die Wiener Jazzszene beschreiben?
AL: In Wien gibt es zwei große Lager in der Jazzszene. Die Frührentner, die zwar bemüht sind, aber doch eher begrenzte musikalische Kenntnisse haben. Diese spielen primär den Mainstream-Jazz. Für diese Leute sind bestimmte Akkorde von Louis Armstrong heilig, obwohl Armstrong auch nicht immer alles richtig gespielt hat.
Es gibt andererseits aber auch eine große Jazzszene mit Musikern aus der Musikuniversität.
Wien hat eine „Freunderlwirtschaft“. Es ist wichtig, wen du kennst, und es ist nicht so wichtig, wie gut du bist. Da gibt es eine Big Band, die immer in den gleichen Locations spielt, und andere Bands kommen da nicht rein.
JP: Ich habe gehört, du hast für Patricia Kaas arrangiert?
AL: Na ja, das ist keine große Kunst, sondern Handwerk. Ich habe Jazz-Harmonielehre am Konservatorium in Wien studiert und da sollte man solche Aufträge machen können. Ich habe das über eine Agentur bekommen. Mit Frau Kaas hatte ich keinen Kontakt. Der Job war, eines ihrer Stücke für ein großes Symphonie-Orchestra zu arrangieren.
Es ist inhaltlich nicht recht viel anders, als wenn man für ein Trio arrangiert, nur hat man bei einem Symphonie-Orchestra wesentlich mehr Möglichkeiten. Für ein Trio muss man sehr kompakt schreiben.
JP: Du hast Arrangements für „Ambros singt Moser“ (Anmerkung: CD-Produktion von Wolfgang Ambros) geschrieben. Welche Erinnerungen hast du daran?
AL: Davon habe ich heute noch eine Platin-Scheibe in meinem Büro hängen. Ich habe, insbesondere für die erste CD, alle Arrangements geschrieben. Die Hauptaufgabe war es, diese alten Filmlieder auf ein Symphonieorchestra zu übertragen. Es gab dabei klare formelle Vorgaben, die sich an der Heurigenmusik orientieren. Daran musste ich mich halten. Alles andere ist solides Handwerk, was sicher herausfordernd war, aber mich vor keine unlösbaren Aufgaben gestellt hat.
JP: Hast du auch eigene Wiener Musik gemacht?
AL: Über die vielen Jahre war ich an 400 Songs beteiligt. Viele davon auch im Wiener Dialekt.
JP: Warum braucht die Welt deine neue Jazz-CD „Happenstance“?
AL: Die Welt braucht diese CD mit Sicherheit nicht, aber ich brauche sie! Ich gebe es zu: Ich bin schon eitel. Ich beschäftige mich seit 40 Jahren mit Jazz und die Öffentlichkeit sollte es mitkriegen.
Die CD ist mit Bass und Gitarre aufgenommen und es ist kammermusikalisch aufgebaut.. Auch Scat-Gesang, wie der Song „Serial man eater“, das wirst du auf der CD hören. Dabei hat mich das Nat King Cole Trio geprägt, bei mir ist es aber ohne Piano. Ich benütze meine Stimme als Instrument, denn so gut wie der Nat King Cole am Piano bin ich natürlich nicht. Man kann das Trio auf der Basis auch beliebig erweitern. Natürlich bin ich auch kein Crooner wie der Nat King Cole.
JP: Was gefällt dir an der Berliner Jazzszene?
AL: Dass ein Österreicher, ein Schwede und ein Franzose in Berlin eine Jazz-CD aufnehmen. Ich glaube das beantwortet gut deine Frage.
In Wien will keiner was hören, was er nicht schon kennt. In Berlin sind die Leute neugierig. In Wien sagen die Veranstalter oft: Bitte keine eigenen Songs. In Wien werden im Radio immer die gleichen 40 Austropop-Songs gespielt. In Berlin verlangen Veranstalter bewusst von mir, dass ich eigene Songs spielen soll.
Ich mag die Internationalität der Berliner Jazzszene und habe auf vielen Sessions gespielt, z.B. mit einer Jump Jive Band mit Songs von Louis Prima und Louis Jordan. Das ist etwas für die Berliner Tanzszene. Aber die Songs sind auch musikalisch gehaltvoll.
JP: Welche Probleme hat die österreichische Musikszene?
AL: Die österreichische Musikszene ist im Würgegriff der US-Musikindustrie. Es wird oft von US-Seite vorgeschrieben, was gut und was schlecht ist. In Österreich gibt es keine Quotenregelung wie z.B. in Frankreich und es wird sehr viel US-Musik gespielt. Viele internationale Künstler bekommen das große Geld und die einheimischen Künstler schauen in die Röhre. Diese Probleme gibt es auch im Jazz-Business: Bei den großen Festivals treten nur Amerikaner auf, obwohl auch die österreichischen Jazzmusiker von was leben müssen.
Eine strikte Quotierung hätte aber natürlich zur Folge, dass immer die gleichen Künstler im Radio laufen. Daher ist hier ein Mittelweg sicher nicht einfach. Ein anderes Problem ist, dass zu viel kopiert wird mit den diversen Tribute Bands.
JP: Was ist die Aufgabe von einem Künstler?
AL: Die Aufgabe von einem Künstler ist es, dem Hörer zu dienen. Damit er einen schönen Abend hat und er ihm eine schöne Emotion entlocken kann. Es ist aber wichtig, dass ein Künstler die Leute nicht veräppelt und seine Musik handwerklich gut macht. Das ist auch meine Aufgabe. Natürlich weiß ich, dass ich jetzt keine Weltkarriere machen kann. Aber wenn ich von meiner Musik meine Miete bezahlen kann, dann bin ich zufrieden.
JP: Was sind deine Ziele?
AL: Ich möchte weiter möglichst gute Musik machen, noch viele schöne Lieder schreiben und vielleicht mal als Sänger mit einer guten Big Band auftreten. Und natürlich möchte ich nächstes Jahr eine Tour mit meinem Trio von „Happenstance“ machen.
JP: Was sind deine Vorbilder?
AL: Ich hätte gerne die handwerklichen Fähigkeiten eines Johann Sebastian Bach, das Genie eines Mozarts, die Einfühlsamkeit eines Schuberts und den Arbeitseifer eines Wagners. Vielleicht noch die Coolness eines Dizzy Gillespie oder Wynton Marsalis.
Als Arrangeur sind Nelson Riddle und Quincy Jones meine Vorbilder. Beide waren sehr gute Handwerker und über jeden Zweifel erhaben.
JP: Zum Schluss: Wie ging es dir in der Corona-Zeit?
AL: Langweilig!
Auf einmal wurden alle Projekte auf Eis gelegt. Es ist unglaublich schwer, Songs zu schreiben, ohne ein Ziel zu haben. Es macht keinen Spaß und man fühlt sich leer. Es fehlt der Kontakt zum Publikum.
Ich halte auch nix von Live-Stream-Konzerten. Ich brauche den Kontakt zum Publikum. Den Applaus, wenn ich was gut mache, und die Kritik, wenn etwas schiefgeht. Gegen einen Computer zu spielen, ist witzlos. Ich warte jetzt einfach, bis es wieder geht. Es kann niemand sagen, wie es sein wird. Die Corona-Zeit ist für mich schmerzlich, aber keine Katastrophe.
JP: Danke für das Interview!
AL: Ich danke dir! Dein Blog ist mega wichtig für uns Künstler, bitte mach weiter!
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