Buchreview: Herbie Hancock- POSSIBILITIES
Herbie Hancock (Hannibal Verlag) „Möglichkeiten“
Als Jazzreporter beschäftigt man sich naturgemäß viel mit Jazz. Ein langjähriger Begleiter ist dabei auch Herbie Hancock. Sowohl seine Schallplatten als auch seine CDs sind in meinem CD-Schrank zahlreich vorhanden. Ich habe zwar nicht alle seine Aufnahmen, aber doch einen wichtigen Querschnitt seiner Werke von seinen Anfängen bei Blue Note bis zu seinen letzten Aufnahmen bei Verve im Jahr 2010.
Jetzt habe ich endlich die Zeit und Muße gefunden, die deutsche Erstausgabe seiner Biografie „Möglichkeiten“, erschienen im Jahr 2018 beim Hannibal Verlag, zu lesen. Autobiografien haben oft das Problem, dass diese Bücher zu sentimental werden oder zu viel Selbstbeweihräucherung enthalten, oft werden kritische Dinge, wenn überhaupt, sehr verkürzt dargestellt. In diesem Buch trifft keines dieser Dinge zu.
Herbie Hancocks Leben hat viele Ecken und Kanten. Hancock wuchs in der harten Umgebung im schwarzen Chicago auf. Schon im Alter von sieben Jahren spielte er Klavier und interessierte sich sehr früh für wissenschaftliche und elektronische Dinge. Er war ein musikalisches Wunderkind: Schon im Alter von 11 Jahren spielte er das 5. Klavierkonzert in D-Dur von Mozart zusammen mit dem Chicago Symphony Orchestra. Seine frühen Vorbilder waren George Shearing und Oscar Peterson. Sein Einstieg in das Musikgeschäft begann Ende der 50er Jahre, als ein Pianist in der Band von Blue-Note-Star Donald Byrd ausfiel und Herbie Hancock einsprang. Hancock spielte schon damals in lokalen Bands und hatte sich dabei einen gewissen Namen gemacht. Byrd gefiel Hancocks Leistung so gut, dass er ihm ein Angebot in seiner Band machte. Daraufhin folgten erste Platten bei Blue Note als Sideman.
Ein paar Jahre später im Jahr 1962 machte Hancock seine erste Platte „Takin off“ mit dem Megahit Watermelon Man drauf. Das Stück gab den Geh-Rhythmus des Melonenmanns aus Hancocks Jugend wieder. Daraufhin folgen weitere erfolgreiche Hits für Blue Note wie „The Eye Of The Hurricane“, „Maiden Voyage“ oder „Cantaloupe Island“. Diese Erfolge bilden den Grundstock für seine weitere Karriere. Seine Zeit beim Miles Davis Quartett von 1963 bis 1969 war sehr wichtig für die weitere musikalische Entwicklung von Herbie Hancock. Miles lehrte ihn, dass nicht jedes Jazzstück perfekt sein muss und man auch aus Fehlern einen guten Song schaffen kann, wenn die Mitspieler darauf eingehen.
Einen großen Teil im Buch nehmen die 70er Jahre ein, als Hancock mit zwei total unterschiedlichen Bands unterwegs war: „Mwandishi“ und den „Headhunters“. Die erste Band bis ungefähr 1972 spielte sehr schwierige Fusionsmusik. Hingegen spielte die zweite Band tanzbaren an der Musik von „Pointer Sisters“ orientierten Jazz. Die Platte „Headhunters“ ist bis heute eine der erfolgreichsten Platten im Jazz. Hancock wollte sich nie auf einen Stil beschränken, sondern spielte Musik, die er selber damals für wichtig hielt. In seiner erfolgreichsten kommerziellen Phase der 70er Jahre spielte er auch Akustik-Jazz mit Wayne Shorter, Freddie Hubbard, Ron Carter und Tony Williams in der V.S.O.P Band, diese Formation war besonders in Japan sehr erfolgreich.
Einen breiten Teil im Buch nimmt auch die Darstellung der technischen Entwicklung von den Anfängen, als die Keyboards noch wuchtig waren und nur mit viel Mühen in ein Auto passten, bis zu den modernen Overdub-Techniken der heutigen Musik ein. Hancock war ein Pionier der elektronischen Musik, denn er spielte teilweise mehre elektronische Instrumente bei Aufnahmen parallel.
Hancok übt auch Kritik am Jazz-Business, dies wird in seinen Darstellungen vor allen über die 90er Jahre deutlich, als kommerzielle Erwägungen beim Herausbringen eines Albums eine stärkere Rolle gespielt haben als künstlerische Aspekte. Diesen Spagat hat Hancok selbst immer wieder gut gemeistert, indem er z. B. populäre Popsongs auf seinem Album „New Standards“ auf seine ganz individuelle besondere Art und Weise interpretiert hat, ohne in die Kommerzfalle zu tappen.
Das Buch ist aber keine bloße Aneinanderreihung von Daten und Aufnahmen. So berichtet Hancock ausführlich über die Religion des Buddhismus, der er seit den frühen 70er Jahren angehört. Auch der tragische tödliche Flugunfall seiner Schwester Jane kommt zur Sprache, genauso wie seine Crack-Drogensucht aus den 90er Jahren.
Trotz des Auf und Ab ist die Musik die Konstante in seinem Leben, denn vor allem seine technischen Neuerungen haben den modernen heutigen Jazz wesentlich mitbeeinflusst. Im Jahr 2007 schaffte es Hancock sogar, dass sein Jazzalbum „River: The Joni Letters“ einen Grammy als Album des Jahres gewann.
Das Buch liest sich sehr flüssig, als ob Hancock direkt mit einem reden würde. Es verzettelt sich nicht in Kleinigkeiten, sondern bleibt der chronologischen Zeitlinie immer treu. Auch sind keine komplizierten Fachbegriffe enthalten. Wenn nötig übt Hancock auch Kritik an seinen Musikerkollegen wie den Starallüren von Freddie Hubbard oder Wynton Marsalis. Für Jazzliebhaber ist das zu empfehlen, denn es liefert viele interessante Hintergrundinformationen zu einzelnen Aufnahmen und Musikern, die Hancock begleitet haben.
Ich kann euch dieses Buch für euren nächsten Urlaub wärmstens empfehlen.
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