Sammy Davis JR.: Interview mit dem Autor von "BEYOND BOJANGELS"
Florian Kerz hat vor ein paar Jahren gemeinsam mit Ivar Halstvedt ein Buch über Sammy Davis Jr. geschrieben, welches ich schon früher mal vorgestellt habe:
https://www.jazzreporter.com/2017/06/20/buchbesprechung-sammy-davis-jr-beyond-bojangels/.
Florian und ich kennen uns schon seit Jahren, weil wir beide auch große Fans von Sammy Davis Jr. sind. Florian ist ein Experte auf dem Gebiet und hat für sein Buch viele Gespräche mit Menschen aus Sammy Davis Juniors Umfeld geführt.
Sammy Davis Jr. hat vor allem in den 50er und 60er Jahren viele jazzig geprägte Aufnahmen gemacht für Decca und später auch für das Label Reprise Records. Darüber und über den Stellenwert der Musik von Sammy Davis Jr., über eine neue Dokumentation und das Leben von Sammy Davis Jr., habe ich telefonisch mit Florian ein Interview geführt.
Jazzreporter: Hallo Florian, schön, dass du Zeit gefunden hast für den Jazzreporter.
Florian Kerz: Hallo Alex. Sehr gerne.
JP: Wie kamst du zu der Musik von Sammy Davis Jr.? In Deutschland war Sammy Davis Jr. bei weitem nicht so populär wie in den USA?
FK: Ganz schwache Erinnerungen habe ich daran, als er 1989 mit Frank Sinatra und Liza Minnelli im Rahmen der „Ultimate Event“-Welttournee in München auftrat. Deshalb, weil zwei Familienmitglieder Eintrittskarten hatten und das Konzert schon Wochen vorher zu Hause Gesprächsthema war. Jahre später hörte ich auf einer Dean-Martin-Compilation das Duett „Sam’s Song“. Es war der Einstieg, mehr über Sammy Davis, Jr. wissen zu wollen. Dass sich daraus eine solche Obsession entwickeln sollte, ahnte ich freilich damals nicht.
JP: Was begeistert dich besonders an Sammy Davis Jr.?
FK: Sammy Davis, Jr. war Sänger, Tänzer, Schauspieler, Comedian und vieles mehr. Für mich persönlich aber ist es vor allem der Sänger; die Markanz seiner Stimme, seine stimmlichen Möglichkeiten, seine Phrasierung – all das begeistert mich bis heute.
JP: Wie ist dein Buch Beyond Bojangles konkret entstanden? Was war für euch die größte Herausforderung an dem Buch?
FK: Die Idee kam, als ich auf Ebay mit dem norwegischen Kinoproduzenten und Sammy-Davis-Jr.-Fan Ivar Halstvedt in Kontakt kam. Er hat seit Jahrzehnten eine umfangreiche Sammlung aufgebaut, ich selbst sammle seit 20 Jahren. Es entstand ein reger Austausch, wir wurden Freunde und stellten fest, dass wir ähnlich verrückt sind, wenn man sich unsere Sammlungen an Memorabilia, Fotos, Tonträgern usw. betrachtet. Wir waren uns bald einig, dass es längst überfällig ist, Sammy Davis, Jr. mit einem Werk zu seinem künstlerischen Schaffen zu würdigen. Bei Sinatra gibt es in dieser Richtung bereits seit Jahrzehnten umfangreiche Literatur, bei Sammy war kaum etwas zu finden. Unser Ziel war es also, eine Karriere von 60 Jahren zu dokumentieren und damit nicht nur ein Nachschlagewerk für Interessierte zu schaffen, sondern auch zu verdeutlichen, was das künstlerische Vermächtnis von Sammy Davis, Jr. bedeutet. Die größte Herausforderung lag in der Sache selbst – Sammy war bereits seit über 20 Jahren tot und aufgrund der Liquidierung seines Nachlasses im Jahr 1991 ist Vieles in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Es gab keine zentrale Anlaufstelle, keinen Ansprechpartner, nichts. Ich bin nach Nevada geflogen, um Musiker und Weggefährten zu treffen, und habe versucht, die noch lebenden Mitglieder seiner eigenen Band alle ausfindig zu machen.
JP: Wie haben die Erben von Sammy Davis Jr. auf euer Projekt reagiert?
FK: Es gab keine Reaktion im eigentlichen Sinn. Wir hatten Kontakt zum Archivar des Estates. Man muss aber bedenken, dass der Estate sich nach vielen sehr schweren Jahren erst gewissermaßen selbst neu formiert.
JP: Sammy Davis Jr. nahm 1964 bei Verve ein Jazzalbum mit Count Basie auf. Wie kam es dazu? Sammy war damals bei Decca unter Vertrag und Verve gehörte Norman Granz.
FK: Das Album „Our Shining Hour“ wurde im September 1964 für Verve Records in New York eingespielt.
Basie hatte schon öfters für Verve aufgenommen, Davis war eigentlich exklusiv bei Reprise Records unter Vertrag, konnte aber für Projekte, bei denen es sich nicht um Solo-Alben handelte, auch bei
einem anderen Label in Erscheinung treten.
Die beiden waren schon seit den 50er Jahren immer mal wieder gemeinsam aufgetreten, für das Studioprojekt brachte sie aber Quincy Jones zusammen.
JP: Im Jahr 1966 nahm Sammy ein Live-Album mit dem Buddy Rich Orchestra auf, welches sich wie eine komplette Show anhört. Welches Verhältnis hatte Sammy Davis Jr. mit Buddy Rich?
Als Sammy in den 40er Jahren der Einlass in die Copacabana wegen seiner Hautfarbe verwehrt werden sollte, war es Buddy Rich, der sich für ihn einsetzte. Ansonsten schätzten sie sich gegenseitig sehr und Buddy Rich wurde besonders in den 70er Jahren häufig als Vorprogramm für Sammy Davis, Jr. angekündigt. Manchmal sorgte das auch für Enttäuschungen, denn in der Regel wechselte die Band, sobald Sammy die Bühne betrat – das heißt, Sammy sang nicht mit der Buddy Rich Band.
JP: In den 60ern nahm Sammy einige Konzeptalben für Reprise auf, mir gefällt das Nat-King-Cole-Songbook-Album. Manche Kritiker meinten, er wollte zu der Phase Sinatra nur kopieren, seine Alben waren ja keine so großen Erfolge damals. Was sagst du dazu?
FK: Kommerziell war gerade „Sings The Nat King Cole Songbook“ überhaupt kein Erfolg, aber eben ein sehr persönliches Album. Nat King Cole war musikalisch neben Frank Sinatra einer der wichtigsten Einflüsse Sammy Davis, Juniors.
Dass er – allerdings besonders in seiner Anfangszeit bei Decca – sich sehr an Sinatra orientiert, oder man könnte auch sagen, ihn zu kopieren versucht hat, lässt sich nicht leugnen. Mitte der 60er Jahre hatte er aber längst seinen eigenen Stil, seine eigene Stimme gefunden. Konzeptalben hat er vergleichsweise wenige eingespielt, weil ihm auch die Möglichkeiten, die Sinatra hatte, gerade was Songwriter & Arrangeure anbelangte, fehlten. Aber auch bei Decca hatte er die Idee von Konzeptalben schon umgesetzt, so bspw. mit „Mood To Be Wooed“, das für mich eines seiner besten Alben ist.
JP: War Sammy Davis Jr. für dich ein Studio- oder Livekünstler?
FK: Diese Frage wird oft leichtfertig damit beantwortet, dass Sammy Davis, Jr. eindeutig ein Live-Künstler war. Ich finde aber, damit macht man es sich zu einfach. Seine vielseitigen Talente verleiten zwar dazu, ihn als reinen Live-Künstler zu betrachten, aber m. E. war er auch als Studiosänger grandios und auch als reiner Studiosänger betrachtet, braucht er den Vergleich mit manchem Weggefährten nicht zu scheuen.
JP: Wie lief ein typisches Sammy-Davis-Jr.-Konzert ab?
FK: Auch wenn sein Repertoire während seiner langen Karriere erheblich variierte, so lässt sich in jedem Fall sagen: Die Setlist stand niemals wirklich vorher fest. Er entschied sich vorab für ein bis zwei Eröffnungsnummern mit seinem Musical Director, danach musste sich die Band darauf gefasst machen, dass er irgendetwas aus dem Songbook abrief. Alle Musiker, mit denen ich gesprochen habe, stimmten überein, dass sie so manches Mal gehörig ins Schwitzen kamen, wenn Mr. D. plötzlich irgendetwas total Ausgefallenes singen wollte. In der Regel aber sang er nach den Eröffnungsnummern ein oder zwei aktuellere Stücke, in der Mitte der Show brachte er häufig ein Medley, das er alleine mit seinem Schlagzeuger bestritt, unter, dann selbstverständlich Stücke von Bricusse & Newley. Von den Standards waren häufig „The Lady Is A Tramp“, „You’re Nobody Till Somebody Loves You“ oder „The Birth Of The Blues“ Teil der Show und ab 1970 meistens (nicht immer!) „Mr. Bojangles“. In den 50er und 60er Jahren nahmen seine „Impersonations“ – die Stimmenimitationen – meist einen festen Platz ein, die er in den 70er Jahren, genau wie die Tanzeinlagen, aber stark reduzierte.
JP: Ist Sammy Davis oft in Deutschland aufgetreten – wie waren die Reaktionen?
FK: Von 1967 bis 1989 absolvierte er insgesamt fünf größere Tourneen in Deutschland. Die Reaktionen waren bei allen Tourneen durchaus positiv, 1976 schlichtweg überragend. Wenn man die Rezensionen heute liest, wie sehr dieser Mann gefeiert wurde, so fällt es schwer zu begreifen, dass er hierzulande – 40 Jahre später – nahezu vergessen ist.
JP: Welchen Stellenwert hat die Musik von Sammy Davis Jr. heute?
FK: Auch wenn es sehr traurig ist, so spielt sie in der öffentlichen Wahrnehmung heute nur noch eine unbedeutende Rolle. Es zeigt, dass wenige Jahre, in denen jemand vollständig aus den Medien verbannt ist, in denen es keine Neuveröffentlichungen gibt, keine Filme und Shows mit ihm im Fernsehen gezeigt werden, ausreichen, um eine beispiellose Karriere von 60 Jahren nahezu der Vergessenheit preiszugeben.
JP: Gibt es noch viele unveröffentlichte Aufnahmen und Konzerte?
FK: Es existieren noch zahlreiche unveröffentlichte Studiosessions, auch einiges Konzertmaterial. Derzeit halte ich es aber für unwahrscheinlich, dass wir in naher Zukunft mit einer Veröffentlichung rechnen dürfen.
JP: Was ist deine Meinung zur neuen Dokumentation von Sammy Davis Jr.?
FK: Die neue Dokumentation „I’ve Gotta Be Me“ stellt den Rassenkonflikt in den Mittelpunkt. Sicher ein bedeutendes Thema, das seine Karriere auch zeitlebens begleitet und stellenweise mitbestimmt hat. Dennoch ist die Dokumentation eine verpasste Chance, sich den Künstler Davis zu vergegenwärtigen und das intensiv zu beleuchten, was der Inhalt seines Lebens war: Entertainment. Hier bleibt sie m.E. viel zu sehr an der Oberfläche.
JP: Planst du in Zukunft weitere Projekte über Sammy Davis Jr. Vielleicht eine Website auf Deutsch?
FK: Momentan ist nichts dergleichen geplant. Vielleicht gelingt es Ivar und mir irgendwann, unser Sammy-Davis-Jr.-Museum zu eröffnen (lacht).
JP: Danke für das Interview!
FK: Gerne, ich danke Dir für Dein Interesse.
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